17.02.2022

«Wie klang Dada?»

Ein Artikel von Magnus Wieland im Online-Magazin «Republik»

«Dada war Dichtung, Kunst, Cabaret – und Musik. Wie hörte die sich an? Wer sich nicht an den Mythen orientiert, sondern an den Quellen, stellt fest: ziemlich anders, als das Klischee es will.»

Artikel von Magnus Wieland, Literaturwissenschaftler, wissenschaftliche Mitarbeiter am Schweizerischen Literaturarchiv in Bern und Verantwortlicher des Nachlasses Emmy Hennings/Hugo Ball. Der Beitrag basiert auf einem Vortrag bei den «Meersburger Konzertgesprächen» Ende 2021.

Erschienen am 17.02.2022 in der Republik. Um den ganzen Artikel zu lesen, klicken Sie auf diesen Link.

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«Wer «Dada» sagt, denkt an Provokation, Revolte, Traditions­brüche und Antikunst.

Als 1920 der erste Dada-Almanach erscheint, vollzieht das Cover einen bilder­stürmerischen Akt: Ein Jahr nachdem Marcel Duchamp der Mona Lisa einen Schnauz angemalt hat, versieht Dada-Oz alias Otto Schmalhausen in einer Foto­montage nun Beethovens Toten­maske mit Haar­strähnen und Schnurrbart. Weit aufgerissen die Augen: Der Übervater der klassischen Musik mutiert zur Fratze.

Ein Sinnbild für Dada. Oder?

Anstelle von harmonischen Klängen setzen die Dadaisten auf Lärm. So will es das geläufige Klischee, das auch Tom Stoppard in seinem Stück «Travesties» aus dem Jahr 1974 bedient. In einer fingierten Szene trifft darin der Dadaist Tristan Tzara auf Lenin – eine Begegnung, die historisch durchaus möglich gewesen wäre, wohnte der angehende Revolutionär doch unweit des Cabaret Voltaire an der Spiegel­gasse in Zürich. Auch ist Lenins Vorliebe für die Beethovens «Appassionata» historisch belegt, die Stoppard in seinem Stück zum Anlass nimmt, ausgerechnet den kommunistischen Anführer als Vertreter eines erzbourgeoisen Kunst­geschmacks vorzuführen: Zu Tränen gerührt von einer Beethoven-Sonate, schimpft Lenin auf den Krach der Dadaisten, die gerade ein «noise concert for siren, rattle and fire-extinguisher» beendet haben.

Natürlich übertreibt Stoppard hier. Doch die Pointe funktioniert, weil sie das gängige Lenin-Image konterkariert, nicht etwa das von Dada. Das Bild von den Dadaisten als lautstarker Bürgerschreck-Kombo war schon damals tief im kulturellen Gedächtnis verankert – und das «Lärmkonzert für Sirene, Rassel und Feuerlöscher» passt bestens dazu.

Aber wie klang es bei den Konzerten der Dadaisten tatsächlich? Was war im Cabaret Voltaire zu hören, als Dada in der Zürcher Spiegelgasse seinen Anfang nahm?

Die ersten Regungen von Dada sind äusserst spärlich dokumentiert, entsprechend hoch ist der Hang zur Mythen­bildung. Fast alles, was wir über die Frühphase im Cabaret Voltaire wissen, stammt aus späteren Erinnerungen und Selbst­darstellungen der Protagonisten, die entsprechend mit Vorsicht zu geniessen sind, gerade auch was Angaben zur Klang­ästhetik von Dada betrifft. Historische Tonaufnahmen aus dem Cabaret gibt es leider keine, wir sind allein auf schriftliche Zeugnisse und auf spätere Vertonungen angewiesen. Es existieren nicht einmal Fotografien aus dem damaligen Lokal, geschweige denn von den Auftritten. Das einzige Bild, das wir kennen, ist ein Gemälde von Marcel Janco, und selbst dieses nur in späteren Reproduktionen, das Original gilt als verschollen.

Und so wird das «einzige» Bild zum Quell einer regelrechten Dada-Mythologie.

Hans Arp beschreibt in seinen Memoiren «Dadaland» die dargestellte Szenerie wie folgt:

"Wir vollführen einen Höllen­lärm. Das Publikum um uns schreit, lacht und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Wir antworten darauf mit Liebes­seufzern, mit Rülpsen, mit Gedichten, mit «Muh Muh» und «Miau Miau» mittelalterlicher Bruitisten. Tzara lässt sein Hinterteil hüpfen wie den Bauch einer orientalischen Tänzerin, Janco spielt auf einer unsichtbaren Geige und verneigt sich bis zur Erde. Frau Hennings mit einem Madonnen­gesicht versucht Spagat. Huelsenbeck schlägt unaufhörlich die Kessel­pauke, während Ball, kreide­weiss wie ein gediegenes Gespenst, ihn am Klavier begleitet." (Hans Arp, «Dadaland»)

Arp schreibt dies aus einer historischen Distanz von zwanzig Jahren. Auffällig ist, wie er in seiner Erinnerung den Lärm, den Tumult und den Bruitismus akzentuiert.

Will Arp aus der Rückschau ein ganz bestimmtes Bild vom radikalen Dadaismus vermitteln?

Es ist jedenfalls ein Bild, das mit dem musikalischen Programm des Cabaret Voltaire nur schwer in Einklang gebracht werden kann – zumindest mit dem, was dort anfangs auf dem Programm­zettel stand.(...)»

[Link zum vollständigen Artikel]

Spiegelgasse 1, Zürich 1935, Baugeschichtliches Archiv Zürich