18.06.2020

CV Books / Arts of the Working Class

Über eine Zeitschrift aus unserem Buchverkauf

Neben aktuellen Erscheinungen zu Emmy Hennings verkauft das Cabaret Voltaire auch eine kleine Bestandsliste wechselnder Bücher, die von Jan Steinbach unter dem Namen CV Books kuratiert werden. Es handelt sich um Bücher, die von den Künstler*innen selbst oder Kleinverlagen von Grafiker*innen/Kulturschaffenden publiziert werden und sonst kaum in Zürich zu finden sind. Diese Form der unabhängigen Distribution erinnert auch an die Anfänge des Cabaret Voltaire. Die Dadaist*innen übernahmen die Autorenschaft auch in Bezug auf die Verwaltung und Verbreitung ihrer Kunst und entzogen sich zu Beginn von Verwertungskanälen wie Verlagen oder dem Kunstmarkt. Sie kreierten eigene Zeitschriften, schalteten Inserate und organisierten ihre Ausstellungen, Soireen und den Verkauf selbst. Als performatives Beispiel kann dazu die Anekdote dienen, wie der Dadaist Arthur Cravan die Zeitschrift Maintenant mit einem Gemüsekarren auf der Strasse verteilte. In diesen Zeitschriften tauchen stets auch Künstler*innen ausserhalb des Dada-Zirkels mit eigenen Beiträgen auf.

«Cabaret Voltaire» hiess die erste Dada-Publikation. Sie befindet sich auch als Faksimile in der aktuellen Ausstellung (vor der Verlängerung war das Original ausgestellt). Dazu aber mehr in einem weiteren Beitrag. Die Druckerzeugnisse, die dann zwischen 1916 und 1920 in den Dada-Zentren entstanden, waren gesellschaftskritisch ­– nicht nur auf inhaltlicher Ebene. Bild und Text fordern sich gegenseitig heraus. Diese redaktionellen Freiheiten und die oft tiefen Auflagen werden heute noch im Zine immer wieder neu entdeckt. Zine ist ein verkürztes Wort für fanzine aber auch Magazin. Diese offene Publikationsform erstreckt ihre historischen Spuren in vielen Subkulturen und Bewegungen: LGBT, Punk, Fluxus, Science Fiction, Dada.

Eine der aktuellen CV-Books-Artikel ist die Zeitschrift:

Arts of the Working Class

Beim ersten Anblick sieht sie mehr wie eine Tageszeitung als eine Kunstzeitschrift aus.

Jan Steinbach teilt uns auf Anfrage per Kurznachricht einige Gedanken mit. Unter anderem: Das periodical «Arts of the working class» ist mir von Anfang an durch seine klare Haltung und die plakativen Titel aufgefallen. Bereits das Cover jeder Ausgabe verwendet konkrete politische Parolen (every Billionaire is a Policy Failure / The Wrong Amazon is burning! / Back to Normal? Nein Danke! [Neuste Ausgabe]) und erweitert damit den Diskurs besonders mit ökonomischen und strukturellen Fragen zum Kunstbetrieb.

Auf Facebook finde ich folgende Beschreibung:

Eine mehrsprachige Strassenzeitung für Armut, Reichtum und Kunst: Arts of the Working Class erscheint alle zwei Monate und enthält Beiträge von Künstler*innen und Denker*innen aus verschiedenen Feldern und Ländern. Sie richtet sich an die Arbeiter*innenklasse, also an alle, und es geht um alles, das allen gehört. Jeder, der sie verkauft, verdient mit. Verkäufer*innen auf den Strassen behalten den vollen Preis. Jeder Künstler, dessen Arbeit beworben wird, gestaltet mit.

Arts of the Working Class wird von Paul Sochacki, María Inés Plaza Lazo und Alina Kolar entwickelt und erscheint für die Strassen der Welt.

Diese Information entnehme ich aus ihrer offiziellen Facebook-Page. Dabei beziehe ich mich gerne auf Facebook, da ich annehme, dass Selbstzuschreibungen in dieser Plattform manchmal freier und gewagter sind, als in Institutionen und anderen Kontexten. Tatsächlich ist es aber eine Copy+Paste.

Die Zeitschrift erscheint seit dem Sommer 2018 und ist auch ausserhalb der Strasse, wie in anderen Institutionen und Onlineshops, beziehbar. Ihre Auflage beträgt 10'000 Exemplare.

Auffälligerweise erscheint sie in verschiedenen Sprachen innerhalb einer Ausgabe, ohne dass die verschiedenen Sprachen ihre Rubriken bekommen. Alina Kolar, die etwas nach der Gründung zum Team kam, meint in einem Interview: Weil wir ein möglichst breites Publikum erreichen und auch migrantische Perspektiven mitdenken wollen, war schnell klar, dass die Zeitung in mehreren Sprachen erscheinen soll. Und zwar nicht nur in den vermeintlich dominanten wie Englisch, Spanisch oder Französisch. Unsere Autor*innen sollen die Möglichkeit haben, selbst über die Beitragssprachen zu entscheiden, egal, welche es sind. Das führt zwar dazu, dass Leser*innen nie den gesamten Inhalt verstehen werden. Aber uns geht es eben auch darum, auszuhalten, dass das gar nicht möglich ist. Dass sich nicht jede Erfahrung übersetzen lässt. Und es darüber hinaus ohnehin so vieles gibt, das sich mit Sprache kaum vermitteln lässt. Sondern vielleicht eher mal durch den Anblick einer Partitur oder einer mathematischen Formel.

Ich habe für heute einige Scans aus der letzten Herbst- und Winterausgabe vorbereitet. Die Bilder können genauer angeschaut werden, wenn sie über einen Rechtsklick am Rande der rechten Seite und dem Befehl Bild in einem neuem Tab öffnen bzw. Grafik anzeigen grösser gemacht werden.

Neben der ersten und dritten Seite habe ich jeweils zwei Beiträge ausgewählt:

Arbeiter*innen Briefe (Zornige Briefe der Künstlerin Miriam Cahn)

Qofte in Disguise – Europäische Andere und die albanische Frage (Anna Ehrenstein als Secondo über Qofte, Qyfte, Kufta, Chiftele, Kafta, Kofta, Keftedes oder Cufteta, die besten nichtalbanischen Pizzas von Albaner*innen zubereitet und auch über die Deutschen)

Technixx of Care (zusammengestellt von der Redaktion)

Training in The Contact Zone (Care-Ideen aus Donna Haraway’s When Species Meet)

Die Zeitschrift kostet online erworben 3.50 €, in den Strassen 2.50 € und bei uns im Cabaret Voltaire 3 CHF.

Links zu der Bücherauswahl von Jan Steinbach, die CV Books, und zu Arts of the Working Class:
https://edcat.net/stories/cv-books-selection
http://artsoftheworkingclass.org/

Lorik Visoka

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