28.05.2020

Der «Dadamonteur» John Heartfield, Punk und das Pamphlet «Der Kunstlump»

Die Fotomontage und der laute Versuch einer Demontage eines politischen Gegners um 1920

Damals wurden wir Dadaisten. Natürlich war das eine, ich möchte sagen: nihilistische Haltung von uns Künstlern. Sie konnte gar nicht anders sein, denn zum grossen Teil stammten wir aus dem Bürgertum und hatten vor allem nicht die Verbindung zur Arbeiterschaft […]. Vorerst setzten wir uns heftig vor allem mit unseren Künstlerfreunden auseinander, auch auf dadaistische Weise. Doch nicht nur mit ihnen, sondern mit den Besuchern unserer Dada-Matineen und anderen Veranstaltungen. [...] die Dadaisten wehrten sich heftig gegen die Barbarei, in die Deutschland durch den Krieg gestürzt worden war und gehalten wurde. [...] Es war unsere absolute Meinung, dass der dadaistische Mensch der radikale Gegner der Ausbeutung war und sein muss. Und wir haben das auch immer projektiert. Auch in der grossen Ausstellung, die wir die ‚Erste grosse dadaistische Messe‘ [‚Erste Internationale Dada-Messe‘, 1920] nannten, eine Dadamesse, die wir bei Dr. Otto Burchard in Berlin veranstalteten. – John Heartfield, Rundfunkinterview, 1966

Da ich fand, dass der Bleistift mir nicht mehr genügte, um gegen den Krieg Anklage zu erheben, habe ich begonnen, Fotomontagen zu machen. Eine von ihnen, 1916 erschienen, zeigt in Gegenüberstellung das Grabmal eines in Belgien gestorbenen Generals und ein Massengrab, in den Millionen Soldaten lagen. - Jean Rollin: «Begegnung mit einem grossen antifaschistischen Künstler». In: Ausstellungsprospekt John Heartfield, Paris 1969 (Rückübersetzung aus dem Französischen)

Die Dadaisten anerkennen als einziges Programm die Pflicht, zeitlich und örtlich das gegenwärtige Geschehen zum Inhalt ihrer Bilder zu machen, weswegen sie auch nicht ‘Tausendundeine Nacht’ oder ‘Bilder aus Hinterindien’, sondern die illustrierte Zeitung und die Leitartikel als Quelle ihrer Produktion ansehen. Collagen und Montagen sind die gegebenen Verfahren zur Verwirklichung dieses Programms. – Wieland Herzfelde: «Zur Einführung». In: «Erste internationale Dada-Messe». Berlin 1920

Als ich das erste Mal mit 15 Jahren eine Dead-Kennedys-CD in der Hand hatte, überraschte mich die übergeladene Grafik des Umschlags. Mir war der Hardcore-Punk eine unbekannte Musikrichtung, da ich die Gitarrenmusik erst entdeckte und zum grössten Teil nachholte. Ich wagte es nicht, mich dem Punk ganz anzunähern. Ich fand dafür die Zeit neben anderer Musikrichtungen nicht oder es war mir für meine empfundene Jugend zu bieder. Es gab wahrscheinlich aber auch einen anderen Grund, weswegen ich möglichst alles von Dead Kennedys hören wollte. Winston Smith war der Gestalter dieser Plattencover. Die Gestaltung ist auf erstem Anhieb als eine Fotomontage erkennbar. Die Collagen aus Schrift, Foto und einzelnen Handbearbeitungen verbanden Spruch, Widerspruch und Groteske, was mich als Jugendlicher überforderte und anregte. Ich konnte dabei sozusagen eine sehr dichte Multimedialität wahrnehmen.

Diese Plattencover waren eine direkte Anlehnung an John Heartfields berühmte Fotomontagetechnik, die er in seiner dadaistischen Zeit im Jahre 1919 mitentwickelte und bis nach dem Zweiten Weltkrieg politisch und publizistisch ausführte.

Vieles aus der Punkmusik scheint aus einer dadaistischen Geste zu kommen, doch der gemeinsame explizit politisch-ironische Ausdruck macht den Vergleich zwischen dieser Hardcore-Punk-Band und John Heartfield offensichtlicher. Das berühmteste Stück mit dem Namen California Über Alles könnte auch aus dem Buchtitel von Kurt Tucholsky und John Heartfield Deutschland, Deutschland über alles entlehnt sein.

John Heartfield ist heute vor allem durch seine Hitler-Fotomontagen aus der AIZ, Arbeiter-Illustrierte-Zeitung, bekannt.

Nach einer verwaisten und turbulenten Kindheit beginnt er eine Buchhändlerlehre in Wiesbaden. Später besucht er eine Kunstgewerbeschule in München und zieht nach einer einjährigen Mitarbeit als Werbegraphiker in Mannheim nach Berlin für ein weiteres Kunst- und Handwerkerstudium.

In Berlin befreundet er sich mit George Grosz, von dem er, wie aus seinen Selbstzeugnissen zu lesen ist, radikalisiert wird, und verkehrt öfters in den Kreisen der deutsch-jüdischen Dichterin Else Lasker-Schüler, zu welcher er den Kontakt gemeinsam mit seinem umsorgenden jüngeren Bruder, Wieland Herzfelde, schon früh aufsucht.

Aus der Freundschaft mit George Grosz, welcher wie Heartfield den eigenen vollen Namen aus ähnlichem Grunde anglisiert, entstehen erste kurzlebige Zeitschriften. Heartfield distanziert sich schon kurz vorher von seiner Malerei und entwickelt erste typographische Collagen. Die Dada-Zeit mit u.a. Richard Huelsenbeck, Hannah Höch und Raoul Hausmann dauert nur ein paar Jahre und bestimmt die Zeit aus dem historischen Kapitel Dada Berlin. Er definiert seine Arbeit durch die Fotomontage, doch sagt von sich auf die Frage, wer die Fotomontage erfunden habe: Das kann ich nicht sagen, Hausmann hat Fotomontagen gleichzeitig mit mir gemacht, wenn nicht sogar früher. Diese Frage bleibt unwichtig, auch weil zu dieser Zeit gleichzeitig verschiedene Formen von Fotomontagen durch Hannah Höch, George Grosz und Johannes Baader entstehen.

Viele Dadaisten aus dem deutschsprachigen Raum sind entweder freiwillig in den Ersten Weltkrieg gezogen, einige auch an der Front, und kamen mit einer Wut und Enttäuschung zurück oder konnten im Voraus beziehungsweise während des Dienstes sich unfähig beweisen, was meistens mit grossem Effort simuliert war. In Berlin wurden vor allem deswegen die Zustände immer politischer. Mit der dadaistischen Bewegung oder Mode kam auch ein Ringen um Aufmerksamkeit während einer fragilen Zeit zwischen einem nationalen Ressentiment und dem benachbarten Bolschewismus. Der Hass gegen den Krieg unterstützte eine polemische und satirische Ausdrucksform einiger Dadaisten und verdichtete so viele Alltagsdebatten. Darunter wurde die Position der Kunst und des Künstlers in Frage gestellt, allen voran des damaligen Expressionismus. Die Autonomie der Kunst sollte innerhalb der ökonomischen Frage verhandelt werden.

Vor hundert Jahren, am 13. März 1920, entstand in Deutschland während des gescheiterten Kapp-Putsches der grösste Generalstreik. Heartfield und Grosz waren schon kurz vor der dadaistischen Zeit der Kommunistischen Partei Deutschlands beigetreten. Der gescheiterte Putsch der nationalistisch orientierten Protagonisten, welche aus einigen konservativen Politikern und Offiziers- oder Freikorps lose bestanden, löste während dieser Zeit eine breite Mobilisierung der Streikenden, bei welchen auch die KPD mitagierte. Der Hintergrund war dabei der Druck aus dem Versailler Friedensvertrag, die deutsche Wehrmacht zu reduzieren sowie eine Entrüstung der linken Bewegung über die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht durch eine Division, aus der auch Freikorps hervorgegangen waren. Während dieses Streiks konnten proletarische Anliegen in der Öffentlichkeit deutlicher formuliert werden.

Der österreichische Maler Oskar Kokoschka, welcher zu der Zeit Professor der Dresdner Akademie und dem Expressionismus zugeschrieben war, veröffentlichte ein Appell. Er bezog sich dabei auf eine Beschädigung eines Gemäldes von Rubens: An die Einwohnerschaft Dresdens [...] Ich richte an alle, die hier in Zukunft vorhaben, ihre politischen Theorien, gleichviel ob links-, rechts- oder mittelradikale, mit dem Schiessprügel zu argumentieren, die flehentliche Bitte, solche geplanten kriegerischen Übungen nicht mehr vor der Gemäldegalerie des Zwingers, sondern etwa auf den Schiessplätzen der Heide abhalten zu wollen, wo menschliche Kultur nicht in Gefahr kommt. 40 Zeitungen druckten diesen Aufruf kommentarlos ab und Kokoschka liess ihn in den Hauptstrassen von Dresden plakatieren. Die gewaltigen Unruhen brachten an diesem Tag 39 Tote und 150 Verletzte und 3000 Tote während der ganzen Dauer.

Daraus entstand eine berüchtigte Gegenreaktion von Grosz und Heartfield in ihrer Zeitschrift Der Gegner unter dem Namen Der Kunstlump. Dieses polemisch überzogene Schreiben gilt in gewisser Literatur als Höhepunkt der Anti-Kunst innerhalb der dadaistischen Aktionen. An der satirischen Verhöhnung der Person Oskar Kokoschka wird ein expliziter Antagonismus aufgebaut und somit eine vielfältige Kritik an das Bürgertum formuliert.

Der ganze Beitrag wird hier weiter unten im Dadablog transkribiert dargestellt, auch wenn dieses Pamphlet in den Einzelheiten nicht ganz nachvollziehbar erscheint und teilweise einem Duktus eines Wahnsinnigen ähnelt. Diese Schrift zeigt in ihrer sprunghaften und dichten Ausführung ein politisches Bewusstsein oder gar eine politische Empfindsamkeit. Die Kritik der Anti-Kunst war mit dem Verlangen begleitet, in einem unmittelbaren Jetzt und dessen Verhandlung zu sein. Hannah Höch sagte später: Wir nannten diese Technik Photomontage, weil dies unsere Aversion enthielt, den Künstler zu spielen. Wir betrachteten uns als Ingenieure, wir gaben vor, zu konstruieren, unsere Arbeit zu ‚montieren’. Die Fotomontage trug zu einem Jetzt bei, wo die Populärkultur und die Maschinenwelt in einander geschnitten wurde. Die malerischen Farbenübergänge aus der etablierten Kunst dagegen konnten in ihrem Wesen immer einen relativierenden Vergangenheitsbezug beinhalten. Die Auseinandersetzung mit der Industrie und den Maschinen war ähnlich wie bei anderen intellektuellen Linken, wie Bertolt Brecht, zu der Zeit.

So darf auch nicht vergessen werden, dass Heartfield und Grosz, die beide aus bürgerlicher Sicht eine verkrachte Familienexistenz hatten, einen nachhaltigeren Anschluss als den Dadaismus suchten. Heartfield gewann in den kommunistischen Bewegungen einen beständigen Auftraggeber.

Der Dadaist, die Dadaistin, konnte weiterhin dem dubiosen Lumpenproletariat angehören.

Lorik Visoka

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D E R K U N S T L U M P

Die Bourgeoisie und das ihr mit Haut und Haaren verschriebene Kleinbürgertum hat sich gegen das aufbäumende Proletariat stets unter anderem auch mit „Kultur“ gepanzert. Ein alter Schlachttrick des Bürgers! Im Rahmen dieser mit ihm in Schlamm und Dreck versinkenden Kultur steht die „Kunst“. Mit der Bibel in der Hand weiht man immer die Mordwaffen, die für die gemeinsten Interessen der verruchten Ausbeuterbande geführt werden (siehe jetzt auch Horthy-Ungarn), mit Goethes Faust im Tornister und den bösartigsten Dichterphrasen im Maul als Beruhigungspillen gab man sich stets das „ethische Gleichgewicht“, dessen man bedurfte im Kampf für Raub, Unterdrückung und rücksichtsloseste Ausbeutung des andern bis aufs Hemd.

In den Staatsgebäuden zur Pflege und Erhaltung der mittelalterlichen Inventare und Gebilde, eines Stabes überflüssiger Kunstbeamten, alles toten, heutigen Lebensbedürfnissen zuwidersprechenden Gerümpels, Geschreibsels und Gemale, das bestenfalls nur historischen Nachschlagewert hat für Idioten und Nichtstuer, die die Dokumente der menschlichen Dummheit, bis in die greiseste Vergangenheit greifend, preisen zu müssen glauben, hängen die verstaubten „Werke“ der Rubens, Rembrandts, die für uns heute nicht den geringsten Lebenswert mehr bergen. Die Marktinteresse für den Bürger haben! In denen er sein Geld sicherte und festlegte. Wie er auch heute sein überschüssiges Kapital in den Bildern der für ihn pinselnden Maler für sich aufhäuft und die bedeutenden Gemälde der bedeutenden „Schaffenden“ (beleidigen Sie die Bedeutenden nicht und sagen Sie nicht „Arbeitenden“!) nur aus Kapitalsinteressen als sein Eigentum für seine unbewohnten Herren-, Speise- und Damenzimmer in dieser Hungerzeit erwirbt. Nebenbei schaffen diese Erwerbungen dem Bürger, solch eines uneigennützigen Handelns wegen, allen Glanz und Ruhm eines Kunst- und den Rang und die Warte eines erstklassigen Kulturförderers, von wo aus man auf den nur produktive Arbeit leistenden „Pöbel“ mit geschürzten Lippen den Tabaksaft der zwischen Goldplomben zerkauten Havanna herabspeien kann. Ja, ja, den guten verfetteten Bürgerbuckel rutscht Schauer der Ehrfurcht über den verschwitzten Arsch bis zu den dienstbeflissenen Fersenballen hinab, wenn ihm ein günstiges Schicksal ermöglicht, z. B. um nur einen von vielen zu nennen, den Palast des Berliner Millionärs Mendelsohn-Bartholdy betreten zu dürfen und dann unter der breiten, feudalen, mit Kandelabern verzierten Treppe neben den Kleiderständern schon einen zwei handbreit grossen Fetzen Leinewand, von Henry Rousseau bemalt, so nebensächlich, als koste er garnichts, hängen zu sehen (er kostet doch Unsummen); wenn er gar seinen Pelzmantel mit dem Bild berühren, das unsterbliche teure Werk mit seinem noch regennassen Mantel zuhängen darf.

Ja, hier herrscht Grosszügigkeit. Ah! hier empfindet man gleich eine Ehrfurcht erheischende Distanz zum dicken Herrn des Hauses, der man sich freudig unterwirft. Hier ist ein geistiges Fluidum, aus dem heraus man die Welt mit Wonne betrachtet. Hier geht einem erst der Sinn des Daseins auf. Alle Schönheiten dieser Erde entblättern sich dir hier! Ah! Hier entblösst man willig das Haupt vor dem Wert der Kultur, fühlt sich von ihr begnadet und verpflichtet zu ihrem Schutze einzutreten gegen alle Zerstörungsabsichten des kulturzerstörenden Bolchewismus, gegen den Hordengeist der Zerrüttung unserer heutigen Zeit. Und immer mehr blüht das Herz auf, wenn man, wo immer man zufällig hingreift, einen zweimal hunderttausend Mark Kunstölfleck berührt und neben den herrlichsten Werken der alten Meister: Rubens pompösen Frauenschenkeln, Blumenputten, Generalsmächtigen mit Orden und Sternen, meisterlich gemalt, heute unnachschaffbar, neben des Malerfürsten Rembrandt Kreuzabnahmen, Goldhelmmännern, auch moderne Kunstwerke entdeckt, vielleicht des jungen Professors Oskar Kokoschka schon sehr kaufkräftige Zeichnungen und Gemälde, vielleicht sein Bild: „Die Schauspielerin Margarete Kupfer mit ihrem Lieblingshund“, das links oder rechts herum gemalt sein kann, ohne für den Bürger Böses auszusagen, das mit einem kunstrevolutionär zu nennenden Aufwand von Kobaltblau, ging dieses zufällig aus, dann auch mit Preussischblau weiter gemalt sein kann, und doch schon „klassisch“ wirkt und in dem kunstsinnigen Hause einer Frau Grossmüllereibesitzer Bienert-Dresden ebensowenig stört, wie etwa des Kleinbürgers und Zöllners Bilder „Blauer Gartenzaun“, „Urwald 3“, „Kind mit Ball“, „Wald mit Zeppelin“.

Ja, hier gehören diese grossen Kunstwerke alle hin! An die Prunktäfelungen der hohen Wände!! – oder etwa in eine Arbeiterstube, in das Alltagselend eines Arbeiters, vielleicht über sein Arbeiterlausebett?

Was soll der Arbeiter mit Kunst?

Wo er stündlich um seine primitivsten Lebensbedürfnisse kämpfen muss, wo er unter den zerrütteten Verhältnissen fiebert, in denen er seine Kameraden, seine Familie, alle seine

Mitstreitenden dank der bürgerlichen Blutsauger und geschwollenen Besitzkröten dauernd versinken sieht, und sich schuldig fühlt jeder Minute, die er nicht damit zubringt, diese Welt aus den Schleimfängen des kapitalistischen Systems zu befreien.

Wo er unaufhörlich die Augen aufreissen muss, um den Verbrechen, den Schlichen, den Hintergehungen, den Umbiegungen, den Verleumdungen, mit denen die bürgerliche Gesellschaft sein Rettungswerk zu vernichten sucht, zuvorzukommen.

Wo er dauernd dem Kapital, das auf jede Weise die Stabilisierung der Ausbeutung ersinnt und ausfährt, entgegentreten muss. Wo er die Ebert mit den Kapp und Mannerheim verhandeln und die Revolution verkaufen sieht.

Wo er die Bildung im Bunde mit den Ludendorffs Handgranaten werfen sieht.

Was soll der Arbeiter mit der Kunst, die ihn trotz aller dieser erschreckenden Tatsachen in eine davon unberührte Ideenwelt führen will, vom revolutionären Handeln abzuhalten versucht, die ihn die Verbrechen der Besitzenden vergessen machen will und ihm die bourgeoise Vorstellung einer Welt der Ruhe und Ordnung vorgaukelt. Die ihn also den Klauen seiner Zerfleischer ausliefert, statt ihn aufzupeitschen gegen diese Hunde.

Was soll der Arbeiter mit dem Geiste der Dichter und Denker, die angesichts all dessen, was ihm den Lebensatem abschnürt, keine Verpflichtung fühlen, den Kampf gegen die Ausbeuter aufzunehmen.

Ja, was soll den Arbeitern die Kunst? Haben die Maler ihren Bildern die Inhalte gegeben, die dem Befreiungskampf der arbeitenden Menschen entsprechen, die sie lehren sich zu befreien aus dem Joch tausendjähriger Unterdrückung?!

Sie haben die Welt trotz all dieser Schande im beruhigenden Lichte gemalt. Die Schönheit der Natur, den Wald mit Vogelgezwitscher und Abendsonnenschein! Zeigt man, dass der Wald in den schmierigen Händen des Profitmachers ist, der ihn meilenweit als sein Privateigentum erklärt, über das er allein verfügt, der ihn abholzt, wenn sein Geldschlot es erfordert, ihn aber umzäumt, damit Frierende darin sich kein Holz holen können.

Doch die Kunst ist tendenzlos. Sieh an!

Deshalb malt man den ganzen alten barocken Gottesschwindel, barocke Engel und barocke Apostel, mit denen kein Lebender mehr etwas anzufangen weiss. Kreuzigungen in allen im Original für die christlichen Mittagstische der Junker und vervielfältigt zur Verdummung des Volkes. Als würde man noch von der Kirche bezahlt oder stände ihren Ideen nahe, als würde man in ihren Schoss flüchten können vor den Standgerichten der bürgerlichen Republik.

Deshalb predigt man in den Bildwerken Flucht der Gefühle und Gedanken, weg von den unerträglichen Zuständen der Erde, zu Mond und Sternen, in den Himmel, lässt so die Maschinengewehre der Demokratie gewähren, die ja auch die Reise der Besitzlosen in ein reineres Jenseits bezwecken. Deshalb dichtet so ein Schwächling wie Rainer Maria Rilke, den die parfümierten Nichtstuer aushalten, „Armut ist ein grosser Glanz von innen“ (Stundenbuch.)

Arbeiter! Indem man Euch die Ideen des christlichen Kirchentums vorsetzt, will man Euch entwaffnen, um Euch umso bequemer der mörderischen Staatsmaschine auszuliefern.

Arbeiter! Indem man in Gemälden irgend etwas darstellt, an das sich der Bürger noch klammem kann, das Euch Schönheit und Glück vorspiegelt, stärkt man ihn, sabotiert man Euer Klassenbewusstsein, Euren Willen zur Macht.

Indem man Euch auf die Kunst verweist und schreit: „Die Kunst dem Volke“ will man Euch verführen an ein Gut zu glauben, das Ihr mit Euren Peinigern gemeinsam besitzt und dem zu Liebe Ihr den berechtigsten Kampf, den die Welt je sah, einstellen sollt. Man will wieder einmal Euch mit „Seelischem“ gefügig machen, und Euch das Bewusstsein Eurer eigenen Kleinheit im Verhältnis zu den Wunderwerken des menschlichen Geistes einflössen.

Schwindel! Schwindel!

Gemeinster Betrug!!

Nein, die Kunst passt in die Museen, um in Rundspaziergängen von Kleinbürgern auf Ferienreisen beglotzt zu werden, die Kunst passt in die Paläste der Bluthunde, vor die Safes. Wenn Herr Stinnes nach getaner Schiebung mit seinen vom Kuponschneiden ach so schwieligen Händchen im Schoss, seine vom fortgesetzten Rechnen, wie man Euch am besten kurz hält, ach so kurzsichtigen Äuglein in die Höhen reiner Menschlichkeit aufschwingt, seinen überangestrengten Geist an den antiken Bildwerken oder etwa an Kokoschkas Meisterschinken „Die Macht der Musik“ erquickt, so lässt sich kaum annehmen, dass diese Bilder die Notwendigkeit der Vernichtung der alten und den Aufbau einer gerechteren Welt predigen.

Arbeiter, Ihr die Ihr den Mehrwert dauernd schafft, der es den Ausbeutern erst ermöglicht, sich die Wände mit diesem „ästhetischen“ Luxus zu behängen, die Ihr den Künstlern somit den Lebensunterhalt, der meist immer ein vielfach reichlicherer war als der Eure, gewährleistet, Arbeiter, nun hört, wie solch ein Künstler zu Euch und Eurem Kampfe Stellung nimmt.

Nach den Kapptagen, da Ihr Euch bewaffnet habt, zum Verdruss der Antimilitaristen und Pazifisten, die es am liebsten gesehen hätten, dass Ihr mit langen weissen Hemden bekleidet mit einer Kerze in der einen und Lehrer Franks Buch „Der Mensch ist gut“ in der anderen Hand in langen Prozessionen den Hakenkreuzzüglern entgegengepilgert wäret, um mit geistigen Waffen die weissen Heilande zu vertreiben, in diesen Tagen hat sich so ein Kunstbürschchen wie Oskar Kokoschka, republikanischer Professor an der Kunstakademie Dresden, nicht etwa nur dem Kampf ferngehalten, wie es bei der traditionellen Feigheit der Intellektuellen kaum anders zu erwarten war, sondern hat in Wahrung seines Kunstschwindels folgendes lapidare Manifest an die Einwohnerschaft Dresdens gerichtet:

„Ich richte an alle, die hier in Zukunft Vorhaben, ihre politischen Theorien, gleichviel ob links-, rechts- oder mittelradikale, mit dem Schiessprügel zu argumentieren, die flehendlichste Bitte, solche geplanten kriegerischen Übungen nicht mehr vor der Gemäldegalerie des Zwingers, sondern etwa auf den Schiessplätzen der Heide abhalten zu wollen, wo menschliche Kultur nicht in Gefahr kommt. Am Montag, den 15. März, wurde ein Meisterbild des Rubens durch eine Kugel verletzt. Nachdem Bilder keine Möglichkeit haben, sich von dort zu retten, wo sie nicht mehr unter dem Schutze der Menschheit stehen, und auch weil die Entente einen Raubzug in unsere Galerie damit begründen könnte, dass wir keinen Sinn für Bilder hätten, so fiele auf die Künstlerschaft von Dresden, die mit mir bangt und zittert und sich dessen bewusst ist, solche Meisterwerke nicht selber schaffen zu können, wenn die uns anvertrauten zerstört wurden, die Verantwortung, einer Beraubung des armen zukünftigen Volkes an seinen heiligsten Gütern nicht mit allen Mitteln rechtzeitig Einhalt geboten zu haben. Sicher wird später das deutsche Volk im Ansehen der geretteten Bilder mehr Glück und Sinn finden, als in sämtlichen Ansichten der politisierenden Deutschen von heute. Ich wage nicht, zu hoffen, dass mein Gegenvorschlag durchdringt, der vorsähe: Dass in der deutschen Republik wie in den klassischen Zeiten Fehden künftig durch Zweikämpfe der politischen Führer ausgetragen werden möchten, etwa im Zirkus, eindrucksvoller gemacht durch das homerische Geschimpfe der von ihnen angeführten Partei. Was alsdann harmloser und weniger verworren wäre, als die jetzt üblichen Methoden.“

O s k a r K o k o s c h k a,

Professor an der Akademie der bildenden Künste in Dresden.

Wir richten an alle, die noch nicht genug verblödet sind, die snobistische Äusserung dieses Kunstlumpen gutzuheissen, die dringende Bitte, energisch Stellung dagegen zu nehmen. Wir fordern alle dazu auf, denen es nebensächlich ist, dass Kugeln Meisterbilder verletzen, da sie Menschen zerfetzen, die ihr Leben wagen, um sich und ihre Mitmenschen aus den Klauen der Aussauger zu erretten.

Die „heiligsten Güter“ sind, wenn sie auch als Kunst, Kultur, Vaterland usw. umschrieben werden, in Wirklichkeit nichts anderes als die Arbeitsprodukte der produktivtätigen Menschen, und wenn zum Kampf um sie aufgerufen wird, so meinen Herren wie Oskar Kokoschka und auch Wilhelm II. den Kampf darum, dass diese heiligsten Güter in den Händen derjenigen bleiben, die sie gewohnheitsmässig als Spekulationsobjekte betrachten. Menschen, die jede Möglichkeit „einer Beraubung des armen zukünftigen Volkes aus seinen heiligsten Gütern“ getilgt wissen wollen, würden es begrüssen, wenn man, statt wie dieser Kulturphrasenheld Kokoschka einen Raubzug der Entente in unsere Galerien an die Wand zu malen, diese Bilder, dem Beispiele der Stadt Wien folgend, gegen Nahrungsmittel für die unterernährte heranwachsende Generation an die Entente verkaufen würde. Für das „arme zukünftige Volk“ wäre damit mehr geschehen, als wenn man ihm die Möglichkeit liesse, mit von der englischen Krankheit krummgebogenen Beinen vor den unversehrten Meisterbildern in den Galerien zu stehen. Das deutsche Volk würde später noch mehr Glück und Sinn finden im Rückblick auf solch ein kulturvergessenes Handeln als in Marmeladerationen zu Ehren Rembrandts. Die Kämpfe „sämtlicher Ansichten der politisierenden Deutschen von heute“ sind der logische Ausdruck des Willens weiterzubestehen und künftigen Generationen andere Daseinsbedingungen zu schaffen als solche, die nur den Gott erleuchteten Kokoschkas ermöglichen, sich satt zu essen und über die Hungernden zu witzeln. Natürlich, satte Leute brauchen Ruhe zur Verdauung, und wenn sich das unbedeutende Volk schon bemerkbar machen muss, darf es ihm, dem Weaner-Kind, wohl vororgeln: „Nua Wolza muss ös sein“, aber mit Gewehren und Maschinengewehren darf’s ihm den Zusammenhang mit seinen Mitmenschen und die Abhängigkeit seines Schicksals von ihrem nicht zum Bewusstsein bringen. Er ist ein Lump, der seine Pinseltätigkeit als eine göttliche Mission geachtet wissen will. Heute, wo es von grösserer Bedeutung ist, dass ein roter Soldat sein Gewehr putzt, als das ganze metaphysische Werk sämtlicher Maler. Der Begriff Kunst und Künstler ist eine Erfindung des Bürgers und ihre Stellung im Staat kann nur auf Seiten der Herrschenden, d. h. der bürgerlichen Kaste sein.

Die Titulierung „Künstler“ ist eine Beleidigung.

Die Bezeichnung „Kunst“ ist eine Annullierung der menschlichen Gleichwertigkeit.

Die Vergottung des Künstlers ist gleichbedeutend mit Selbstvergottung.

Der Künstler steht nie höher als sein Milieu und die Gesellschaft derjenigen, die ihn bejahen. Denn sein kleiner Kopf produziert nicht den Inhalt seiner Schöpfungen, sondern verarbeitet (wie ein Wurstkessel Fleisch) das Weltbild seines Publikums.

Oskar Kokoschka, der Schöpfer „psychologischer“ Spiesserporträts, vergeudet seinen psychologischen Impetus natürlich nicht an seelenlosen Mob. Seine Realschulkenntnisse genügen ihm, um in wahrer historischer Einsicht Links- und Krumm- und Grade- und Rechtsradikale aufzufordern, ihre politischen Theorien „mit dem Schiasprüagel in da Hond auf den Schiassplätzen auf der Heide oobzuholten, so zum Spurt, damit die oiten Moistabüida net valetzt werrn und da Mönschheit koa Schodn zuagefüagt wird.“ Und obwohl er über dem Hader der Parteien steht, wie alle grossen Kunsthuren, versagt er dem verblendeten Volk nicht folgende unerhört neue politische Erkenntnis: zur politischen Arena soll der Zirkus werden, die Führer treten dort als Gladiatoren auf, das Parteigesindel grööööhlt, die Feuerwehr steht mit Minimax dabei, damit kein Brand ausbricht, Schutzleute überwachen das Ganze, damit kein Rubens und kein Rembrandt im Grab rotieren braucht.

Herr Professor, wissen Sie kein Mittel, um Rubens und Rembrandt, die nebenbei bemerkt nicht mal telephonieren können, die in Dreimaster, Schnabelschuhen, Spitzenkragen und Kavalierdegen uns eben so ehrwürdig vorkämen wie Ihre Bilder, aus dem Grabe auferstehen zu lassen? Sie wären zweifellos berufen, des deutschen Volkes Seelenzwiespalt zu heilen und so dem schwergeprüften Vaterland Ruhe und Ordnung wieder zu schenken und es einer besseren Zukunft entgegenzuführen. Die Entente würde selbstverständlich den Versailler Vertrag revidieren.

Arbeiter, blickt nach Dresden! Dort seht ihr die Wiege eurer glücklichen Kinder und das Bankdepot O. Kokoschkas.

Oschka Kokoschka, der wie die Zofe mit der Herrschaft bangt und zittert, dass ihm der Arsch mit Grundeis geht, ist uns nur der Anlass, um die bürgerliche Kunst entlarven zu können, wobei die Person dieses Professors so nebensächlich bleibt, wie sie an sich ist. Dieser Hochschullehrer für Kunst, der bei Aufnahmen von Schülern authentisch äusserte: „Ich kann nur absolut unberührte Menschen brauchen“ (von den Dingen und den Fragen der heutigen Zeit unberührte Menschen, Engel vom Mond, aus metaphysischen Gefilden), ist eine symptomatische Person, mit deren Anschauungen über Kunst das ganze Kunstbeamtentum, der Kunstmarkt, die öffentliche Meinung über Kunst sich decken, und indem wir ihn angreifen, wollen wir alles treffen, was sich hinter ihm an Kunstdummheit und -gemeinheit und -arroganz versteckt. Den ganzen unverschämten Kunst- und Kulturschwindel unserer Zeit!

Kokoschkas Äusserungen sind ein typischer Ausdruck der Gesinnung des gesamten Bürgertums. Das Bürgertum stellt seine Kultur und seine Kunst höher als das Leben der Arbeiterklasse. Auch hier ergibt sich wiederum die Folgerung, dass es keine Versöhnung geben kann zwischen der Bourgeoisie, ihrer Lebenseinstellung und Kultur, und dem Proletariat.

Arbeiter, wir sehen die Versuche der Unabhängigen, diese Kultur und die verlogenen Anschauungen über Kunst hinüber zu retten in den proletarischen Aufbau der Welt. Wir erwarten sehr bald von dem Herrn Genossen Felix Stössinger, dass er Euch in der „Freien Welt“ die Werke des bedeutenden Malers Oschka Kokoschka zeigt und Euch ihre Bedeutung für das Proletariat nachweist, wie er Euch auch mit dem kirchlichen Zimmt des Isenheimer Altars oder den heute erledigten individualistischen Kunstquälereien eines van Gogh bekannt machte. Der egozentrische Individualismus ging mit der Entwicklung des Kapitals Hand in Hand und muss mit ihm fallen.

W i r b e g r ü s s e n m i t F r e u d e, d a s s d i e K u g e l n i n G a l e r i e n u n d P a l ä s t e, i n d i e M e i s t e r b i l d e r d e r R u b e n s s a u s e n, s t a t t i n d i e H ä u s e r d e r A r m e n i n d e n A r b e i t e r v i e r t e l n!

Wir begrüssen es, wenn der offene Kampf zwischen Kapital und Arbeit dort sich abspielt, wo die schändliche Kultur und Kunst zu Hause ist, die stets dazu diente, den Armen zu knebeln, die den Bourgeois am Sonntag erbaute, damit er am Montag seinen Fellhandel, seine Ausbeutung um so beruhigter aufnehmen konnte!

Es gibt nur eine Aufgabe:

Mit allen Mitteln, mit aller Intelligenz und Konsequenz den Zerfall dieser Ausbeuterkultur zu beschleunigen.

J e d e I n d i f f e r e n z i s t k o n t e r r e v o l u t i o n ä r!

Wir werden den konterrevolutionären Erhaltungstrieb der Kokoschkas niemals dulden, die noch nicht einmal die beweglichen Ideen des Futuristen sich zu eigen gemacht haben, an deren Bilder das einzig Gute ist, dass sie sie nach dem Tode verbrannt wissen wollen, in der richtigen Erkenntnis, dass diese bis dahin doch längst überholt sind. (Was soll uns ein futuristisches Gemälde „Damenhut bewegt sich die Treppe abwärts“ in einer butterarmen Zeit?!)

W i r f o r d e r n a l l e a u f, S t e l l u n g z u n e h m e n g e g e n d i e m a s o c h i s t i s c h e E h r f u r c h t v o r h i s t o r i s c h e n W e r t e n, g e g e n K u l t u r u n d K u n s t!

Insbesondere bitten wir um Übermittlung von Stellungnahmen gegen den Aufruf Kokoschkas! Wir wollen die Stimmen gegen solche Lumpen und den hinter ihnen Versteckten sammeln und nach Möglichkeit der Öffentlichkeit übergeben.

V o n E u c h, A r b e i t e r, w i s s e n w i r, d a s s i h r E u r e A r b e i t e r k u l t u r g a n z a l l e i n s c h a f f e n w e r d e t, e b e n s o w i e i h r E u r e K l a s s e n k a m p f o r g a n i s a t i o n e n a u s e i g e n e r K r a f t g e s c h a f f e n h a b t.

J o h n H e a r t f I e l d und G e o r g e G r o s z.

John Heartfield, Scan in: John Heartfield in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, dargestellt von Michael Töteberg, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, 1978

Umschlag der Zeitschrift Der Gegner, wo der Beitrag Der Kunstlump steht, Quelle: Princeton Blue Mountain collection