24.09.2020

(Black) Dada Nihilismus

Petra Winiger Østrup schreibt über das Gedicht von Amiri Baraka und dabei auch über dadaistische Strategien der Unterwanderung und Geschichtstilgung

Als sich im Februar 1916 in einem kleinen Lokal an der Zürcher Spiegelgasse das Who-is-Who der europäischen Intelligenz einfand und eine Bühne der unbändigen Freiheit, des grenzenlosen Experimentierens und der unerschöpflichen künstlerischen Möglichkeiten zu bespielen begann, mussten sich diese Exilant*innen warm anziehen. Nicht nur zog ihnen der raue, kalte Zürcher Winterwind um die Ohren und durch die Ritzen ihrer maroden Unterkünfte im schäbigen Niederdorf, auch sinnbildlich wurde ihnen in ihrer neuen Heimat im Exil nicht besonders viel Wärme entgegengebracht. Es herrschte ein allgegenwärtiges Misstrauen gegenüber avantgardistischen Künstler- und Intellektuellenkreisen. Hugo Ball und Emmy Hennings etwa wurden gemäss einer stadtpolizeilichen Akte gar wegen Verdachts auf «bolschewistische Umtriebe» überwacht.

Gerade in dieser Anfangsphase steht Dada ganz im Kontext des grausamen Ersten Weltkriegs, der jenseits der Schweizer Grenzen seit 1914 tobte und mit erstmals eingesetzten Luftbombardements und Giftgaseinsätzen für Zerstörung, Elend und Traumata sorgte. In dieser lähmenden Ohnmacht wird für die Emigrant*innen jede künstlerische Geste obsolet, für die Dadaist*innen bleibt, wie Ball es formuliert, nur das «Narrenspiel aus dem Nichts».

Nun entfaltet sich dieser dadaistische Nihilismus nicht etwa aus einer bestimmten Ästhetik seiner Erzeugnisse (es gibt sie ja nicht einmal, diese vielen anderen Ismen so eigene ästhetische Homogenität!), sondern eher durch eine gewisse Radikalität der Bewegung in einem assoziativen, metaphysischen Sinn. Denn ein solch kalkuliertes Konzept der Konzeptlosigkeit diente zwar einerseits als Protest gegen Institutionalisierung und Konventionen, andererseits aber auch zur Erwirkung eines Resets der künstlerischen Avantgarde. Indem der Dadaismus – im Gegensatz zu bisherigen Kunstbewegungen – «zum erstenmal dem Leben nicht mehr ästhetisch gegenüber [stehe]», würden «alle Schlagworte von Ethik, Kultur und Innerlichkeit, die nur Mäntel für schwache Muskeln sind, in seine Bestandteile zerfetzt.» (Dadaistisches Manifest, 1918). Auch Hugo Ball sieht darin ein Rezept. Sein Nihilismus hingegen entwickelt sich eher aus Resignation als aus Aggression: «Die Kunst kann vor dem bestehenden Weltbild keinen Respekt haben, ohne auf sich selbst zu verzichten. Sie erweitert die Welt, indem sie die bis dahin bekannten und wirksamen Aspekte negiert und neue an ihre Stelle setzt. Das ist die Macht der modernen Ästhetik; man kann nicht Künstler sein und an die Geschichte glauben.»[1] Leider wird dem Dadaismus die affirmative Komponente dieses – im nietzianischen Sinn – aktiven Nihilismus bis heute noch weitgehend aberkannt. Dies verantwortet die hartnäckigsten Klischees dieser so oft missverstandenen Bewegung.

50 Jahre später wird Dada gerade in der US-amerikanischen Kunst wieder heiss gehandelt. Zuvor war die Bewegung eine ganze Weile ziemlich in Vergessenheit geraten, nachdem sie sich zunächst von Zürich aus auf verschiedene andere Zentren ausgebreitet und sich schliesslich im Surrealismus aufgelöst hatte. 1964 veröffentlicht der afroamerikanische Dichter, Dramaturg und Musikkritiker Amiri Baraka, zu diesem Zeitpunkt noch unter dem Namen LeRoi Jones, in New York das Gedicht Black Dada Nihilismus.[2] Er übernimmt dabei die von den Dadaist*innen 50 Jahre zuvor eingeführte Strategie der Formlosigkeit und schlägt eine ethnische sowie künstlerische Revolution vor mit dem von den Dadaist*innen propagierten Reset. Anders als die europäische Avantgardebewegung aber, die sich gegen den Krieg, den vorherrschenden Nationalismus und gegen erstarrte bürgerliche Gesellschaftsordnungen auflehnte, thematisiert Barakas die Rassenproblematik in den USA, die darauf bauenden ausgrenzenden sozialen Systeme und die Diskriminierung afroamerikanischer Künstler*innen. Dabei bedient er sich für die Ästhetik seiner Poesie einer Vielfalt von Stilmitteln und Assoziationen – auf inhaltlicher wie auf formaler Ebene. So setzt er etwa vor dem ersten Wort des Gedichts einen Punkt.

. Against what light

is false what breath
sucked, for deadness.
Murder, the cleansed

Dieses Zeichen, normalerweise seinen Platz am Ende eines Satzes findend, suggeriert nun mit seiner schieren, subtilen Existenz etwas unwiderruflich vorher Dagewesenes. Das erste Wort des Gedichts markiert also nicht einen Anfang, sondern es ordnet sich ein in eine bestimmte zeitliche, räumliche und semantische Abfolge, deren Historie mit einer radikal-demonstrativen, oder eben nihilistischen Geste radiert wurde.

Raffiniert nutzt er Provokationen, um mit ihnen – in einem metaphorischen Sinn – Assoziationen hervorzurufen, mit dem Nebeneffekt, vorherrschende Stereotypen zu entlarven.

Come up, black dada

Nihilismus. Rape the white Girls. Rape
their fathers Cut the mother throats.
Black dada nihilismus, choke my friends

In their bedrooms with their drinks spilling

Die Aggression in diesen Zeilen wirkt hier als Trigger radikaler Provokation. Der gewalttätige und (weisse Frauen) vergewaltigende schwarze Mann entspricht auch heute noch einem gängigen Vorurteil, welches die strukturelle Diskriminierung und Polizeigewalt gegen Afroamerikaner in den USA untermalt. Die grelle Aufdeckung dieses Stereotyps nimmt aber in diesen Zeilen eigentlich nur den Platz einer Randnotiz ein, vielmehr richten sich die vom Autor allegorisch beschriebenen Attacken nämlich gegen ein etabliertes weisses und eurozentristisches Kunstverständnis.

Bis heute bleibt für zeitgenössische afroamerikanische Künstler der Zugang zu Galerien und Museen erschwert. Wie Salome Hohl in ihrem Blogbeitrag vom 4.6.2020 erklärt, verwendet der zeitgenössische afroamerikanische Künstler Adam Pendleton Black Dada als Methode, um auf die ihm entgegengebrachte physische und psychische Gewalt und Diskriminierung zu reagieren. Dass auch Barakas Gegenstände von 1964 bis heute nicht an Dringlichkeit und Aktualität verloren haben, zeigen die aktuellsten Proteste in den USA. Ob sich nun die unzähligen, kurz aufgepoppten schwarzen Quadrate und Hashtags wie #blacklivesmatter, in ihrer Banalität und Flüchtigkeit einem hier besprochenen Nihilismus zuordnen liessen, bleibt zu diskutieren. Ebenso, ob sich dieses zwar vor 100 Jahren adäquate Mittel der künstlerischen Avantgarde – die Vergangenheit zu tilgen – so ohne weiteres in die heutige Zeit übertragen lässt. Der anstehende Paradigmenwechsel, ausgelöst durch globale Herausforderungen wie Klimawandel, künstlicher Intelligenz oder Big-Data-Algorithmen scheint auf jeden Fall – entgegen der Meinung einiger alter, weisser, populistischer Alphatiere – eher globale als nationale Konzepte (um es in dadaistischer Manier auszudrücken: Manifeste!) zu erfordern, zumindest diese Erkenntnis können wir mit den Dadaist*innen teilen. Über die Strategien müssen wir noch weiter nachdenken.

Petra Winiger Østrup

______________________________

[1] Hugo Ball, 22.3.1917. Unschwer zu erkennen ist in diesen Tagebuchaufzeichnungen (Flucht aus der Zeit), dass bei Hugo Ball – noch vor seinem Abstecher zu Dada und seiner erneuten Hinwendung zum Katholizismus – eine intensivere Auseinandersetzung mit Nietzsche in Form eines unvollendeten Dissertationsprojekts vorausging.

[2] Der vollständige Text des Gedichts Black Dada Nihilismus von Amiri Baraka erschien auch im Black Dada Reader von Adam Pendelton (2017), nachzulesen in der Präsenzbibliothek des Cabaret Voltaire.

<
1
>