04.06.2020

Black Dada Flag (Black Lives Matter) und ein gekapertes Hashtag

Über Adam Pendletons Praxis, aktuelle Ereignisse, weisse Solidarität und Black Dada als Möglichkeit, über die Zukunft und gleichzeitig über die Vergangenheit zu sprechen.

In diesen Tagen brennt die USA. George Floyd als weiteres Opfer systematischer Gewalt, die neben der juristischen auch die ökonomische, moralische und ontologische umfasst. Afroamerikaner*innen wären zwar gesetzlich gleichgestellt, doch die Privilegien einer weiss konzipierten Welt scheinen dazu zu führen, dass selbst die ontologische Aussage «Black Lives Matter» gefordert werden muss. «All Lives Matter» lautet der logische Fehlschluss einer weissen Masse, die sich ihre gesicherte Stellung nicht vergegenwärtigt. «Black Lives Matter» heisst nicht, dass weisse Leben weniger wert sind oder der Dualismus schwarz/weiss verstärkt werden möchte. Es geht darum, das Ungleichgewicht zur Sprache zu bringen und die Benachteiligten sprechen zu lassen. 2020 wurden wir Zeugen eines Mordes auf offener Strasse. Die Coronakrise trifft zudem besonders die Schwarze Bevölkerung. All das kumuliert derzeit im Pulverfass USA.

Stärker als 2015 scheinen auch Weisse weltweit auf die aktuellen Ereignisse zu reagieren und sich zu solidarisieren. Was heisst aber weisse Solidarität? Weisse Solidarität bedeutet (wahrscheinlich), sich ständig mit den eigenen blinden Flecken auseinanderzusetzen, Perspektivenwechsel zu vollziehen, ohne zu glauben, die Perspektive einnehmen zu können, zu unterstützen, ohne die Diskussion zu übernehmen. Wie viel es noch zu lernen gibt, wurde gestern sichtbar. In den Social-Media-Feeds dominierten schwarze Quadrate mit dem Hashtag «Black Lives Matter». Schwarze Künstler*innen und Aktivist*innen wiesen darauf hin, dass durch die Verwendung des Hashtags die Aufmerksamkeit von denjenigen Stimmen weggenommen wird, die eigentlich sprechen müssten. Ein Hashtag nivelliert trotz demokratischem Potential. Die Fragen Wer spricht und Wer wird zum Schweigen gebracht gilt es auch bei diesen virtuellen Zeichenketten fortlaufend zu stellen. Trotzdem müssen sich Weisse dezidiert gegen Rassismus stellen, ohne das Leid zu kapitalisieren und für eigene Zwecke nutzbar zu machen. Vor diese Herausforderung werden auch kulturelle Institutionen gestellt.

Im konkreten Fall Cabaret Voltaire scheint es mir neben der Förderung nicht-weisser Stimmen auch sinnvoll, das Erbe durch die Folie der aktuellen Ereignisse zu betrachten. Das schärft die Sensibilität und die Urteilskraft. Dada hat eine komplizierte Beziehung zum Eigenen und Fremden. Künstler*innen wie Hannah Höch, Tristan Tzara, Marcel Janco oder Sophie Taeuber-Arp versuchten sich mithilfe der Aneignung afrikanischer Formen und Sprachen von westlichen Denkweisen und Ausdrucksformen abzusetzen, perpetuierten diese aber gleichzeitig auch. Dieser Dialog mit dem Fremden ist bisher wissenschaftlich wenig aufgearbeitet. Einer der ersten Versuche wagte das Museum Rietberg 2016 mit dada Afrika (zu besichtigen in der Dada-Bibliothek). Das Thema soll in späteren Blogeinträgen beleuchtet werden.

In diesen Tagen musste ich an Adam Pendletons Black Dada Reader (Walther König-Verlag 2017) denken, den ich sogleich für unsere Dada-Bibliothek bestellte. Der afroamerikanische Künstler versammelt in diesem Reader eine Vielzahl von Persönlichkeiten unterschiedlicher Generationen und Kulturkreisen in einem gemeinsamen konzeptuellen Raum und lässt sie zu Themen wie der historischen Entwicklung der Syntax, das schwarze Amerika oder Feminismus sprechen. Der Reader enthält Essays und Material von Dichter*innen, Künstler*innen und Philosoph*innen wie W.E.B. du Bois, Stokely Carmichael, Adrian Piper, Gertrude Stein, Sun Ra, Hugo Ball oder Adrienne Edwards.

Pendleton beschreibt viele seiner Werke als Black Dada. Er markiert Dada als Methode um auf staatlich sanktionierte physische und intellektuelle Brutalität zu reagieren. Black Dada sieht er als Möglichkeit, über die Zukunft und gleichzeitig über die Vergangenheit zu sprechen (Artforum und Pin-Up Magazine). Im Nachwort des Black Dada Reader schreibt er: «Black Dada ist der Name, den ich mir für die immanente historische Möglichkeit dieser Transformation [der Machtverhältnisse] borge: Schwarz für den offenen Signifikanten mit offenem Ende, der auf widerstrebende Objekte projiziert wird, Dada für ja, ja, die doppelte Affirmation ihrer Verweigerung». Dada erlaubt für ihn also eine Neubesinnung auf traditionelle Diskurse und als Black Dada die Eröffnung eines Afro-Konzeptualismus, in dem das Subjekt durch Abstraktion von der Objekthaftigkeit entfernt wird.

Als künstlerische Methode wählt er dabei die Collage (ganz im Sinne der Dadaist*innen). Bilder und Texte untersucht er auf ihr poetisches oder symbolisches Potenzial, indem er sie in unterschiedliche Kontexte transferiert und Perspektiven untersucht. Black Dada Flag (Black Lives Matter) ist ein solches Werk. Er nimmt sich der Phrase «Black Lives Matter» an und verweist auf die Position der Sprechenden. Dem Artforum erklärt er sein Vorgehen wie folgt: Was ihn an Black Lives Matter als Artikulation politischer Ideale wie auch als Bewegung interessiere, sei, dass die Äusserung dieser drei Worte je nachdem, wer sie sagt, wo und wann, etwas ganz anderes bedeute. Wie jede Sprache sei ihre Projektion selten linear. Sie möge zur Polizeibrutalität in den USA sprechen und aus ihr hervorgehen, aber nebenbei trage sie Bedeutung und politisches Gewicht in Ländern, in denen die Erfahrung für schwarze oder braune Menschen ebenso partikulär und subjektiv wie universell sei. «Black Lives Matter» entwerfe einen provisorischen Raum, in dem andere sich selbst wahrnehmen können. Es schwinge mit für ein afrikanisches Kind in den Pariser Banlieues, aber die Geste könne auch eine schwule Person in der Türkei oder einen undokumentierten Migranten in den USA inspirieren.

Nun ist aber ein schwarzes Quadrat keine Möglichkeit, um Stimmen und Geschichten sichtbar zu machen. In Gedanken an den russischen Suprematisten Kasimir Malewitsch, der auch zum russischen Dada gezählt wird, erregt das schwarze Quadrat durch Gegenstandslosigkeit, die nur sich selbst erscheint und einen Nullpunkt widerspiegelt: Eine Entleerung oder Begräbnis Schwarzer Stimmen ist die Folge. Wenn, dann müssten wir das Quadrat posten, bis die Umstände sich tatsächlich ändern. Wichtiger scheint es aber zu fragen: Werden nicht-weisse Stimmen gehört und unterstützt? – auch in institutionellen Räumen. Es gibt viel zu tun.

Salome Hohl

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Adam Pendleton, Black Dada Flag (Black Lives Matter), 2015–2018